Sie sei „unendlich dankbar“, sagte eine Frau kürzlich am Telefon. Ihrer Mutter ging es schlecht, doch sie konnte nicht länger bei ihr bleiben. Und so war sie beruhigt, dass die Sterbende nicht alleine war, sondern eine Begleiterin vom Hospizdienst ihr zur Seite stand.
Günther Brenzel, Vorsitzender des Hospizvereins Gomaringen, erzählt die Geschichte beispielhaft für viele andere: Nicht jede Familie kann einen sterbenden Angehörigen selbst begleiten – oder jedenfalls nicht über Wochen. Weil Familien in alle Welt zerstreut sind; weil kleine Kinder da sind, die ebenfalls betreut werden müssen; weil die berufliche Situation es nicht zulässt. „Nur in ganz gut organisierten Familienverbänden klappt es, dass man die Betreuung intensiv machen kann – auch zu Hause.“
Brenzel, inzwischen pensioniert und freiberuflicher Seniorenberater, war früher Pflegedirektor am Tübinger Uniklinikum. Dass Pflegeheime und Krankenhäuser viel zu dünn besetzt sind, als dass die Pfleger sich selbst ans Bett eines Sterbenden setzen könnten, weiß er nur zu gut. In Heimen sei eine Person nachts für bis zu 45 Menschen zuständig: „Wie soll eine Altenpflegefachkraft das auffangen können?“
Diese Lücke schließen ehrenamtliche und kostenlose Hospizdienste, die inzwischen auch gesellschaftlich besser be- und anerkannt sind. Als die Gomaringer Hospizgruppe sich vor zehn Jahren gründete, war das nicht unbedingt so. Im Nachhinein findet Brenzel es geradezu mutig, dass der damalige Vorsitzende des Fördervereins vom Gustav-Schwab-Stift, Hans Zeeb, sich des Themas annahm: „Er hat gespürt, dass es im Pflegeheim eine Not gibt“, erinnert sich Günter Vollmer, damals selbst Mitglied im Fördervereins-Vorstand und jetzt ehrenamtlicher Geschäftsführer des Hospizdiensts. Neun Frauen aus Gomaringen und Dußlingen, unter ihnen Vollmers Ehefrau, starteten 2006 eine Hospiz-Ausbildung, so dass sie 2007 mit der ehrenamtlichen Arbeit beginnen konnten.
Schnell hätten die Anfragen zugenommen, berichtet Vollmer. Auch aus Dußlingen und Nehren gab es welche, zunächst vor allem aus den dortigen Pflegeheimen. Unterm Dach des Fördervereins war dies nicht mehr zu leisten, auch der Abrechnung wegen. Der Hospizdienst bekommt Fördergelder, die er für die Kurse, aber auch für die 60-Prozent-Stelle der Einsatzleitung benötigt. Kompliziert wird die Sache, weil der Verein teils in Vorleistung gehen und darum Spenden akquirieren muss. Dass Vollmer vor seiner Pensionierung in leitender Position im Rechnungswesen tätig war, kommt ihm bei seinem Ehrenamt zupass. Seit 2011 ist der Hospizdienst Gomaringen ein eingetragener Verein. Sitz und Geschäftsstelle hat er an der Wiesaz, jedoch gehören auch die Nachbargemeinden Dußlingen und Nehren dazu, von wo einige Helfer/innen kommen. Brenzel, damals gerade pensioniert und offen für neue Aufgaben, übernahm den Vorsitz. Er und Voller hatten schon davor zusammengearbeitet: Sie kannten sich aus dem Kirchengemeinderat.
55 aktive und passive Mitglieder hat der Hospizdienst-Verein momentan – wenig im Vergleich zu anderen Vereinen. Aber der Geschäftsführer und der Vorsitzende wissen, dass das Thema ein schwieriges ist, mit dem man sich nicht so gerne befasst. Und doch ist die Zahl derer, die mitarbeiten, in zehn Jahren auf das Dreifache angewachsen. 27 Ehrenamtliche – darunter nur ein Mann – arbeiten ehrenamtlich als Sterbebegleiter/innen beim Gomaringer Hospizdienst, wobei fünf von ihnen sich gerade eine Auszeit genommen haben. „Es ist schon so, dass sie nach ein paar Jahren mal eine Pause brauchen“, weiß Vollmer. Alle Helfer/innen haben zur Vorbereitung einen fast einjährigen Kurs belegt, in dem sie sich mit vielen verschiedenen Themen auseinandersetzten: dem Trauerprozess, dem eigenen Sterben, dem Umgang mit Demenz, Schmerztherapie. Auch ein Pflegeheim-Praktikum gehört dazu. „Die Leute, die sich darauf einlassen, wissen: Das kostet sie auch persönliche Kraft. Aber nahezu alle sind derart von diesen Kursen berührt, dass sie sagen: Das hat mir unheimlich viel gebracht.“
Mitmachen kann im Prinzip jeder. In den allermeisten Fällen sind es jedoch Frauen ab 40 oder schon im Ruhestand, die sich vorstellen könnten, dieses Ehrenamt zu übernehmen. Manche von ihnen haben davor einen Angehörigen betreut und sind auf die Weise mit dem Thema in Kontakt gekommen. „Bei meiner Frau war es so“, deutet Vollmer an. „Das Entscheidende ist, einfach da zu sein, die Signale des Sterbenden und der Angehörigen aufzufangen“, sagt Brenzel. Denn oft „geht es weniger um den Sterbenden als um die Begleitung der Angehörigen. Wenn Sie eine Mutter mit zwei kleinen Kindern betreuen, dann kann man die Kinder
nicht ignorieren. Manchmal sind auch die Erwachsenen ganz arg hilflos und froh, wenn sie in der Hospizbegleiterin eine Person finden, die in sich ruht. Das gibt auch der Familie Stabilität.“
Die Pflege des Sterbenden gehört nicht zu den Aufgaben der Hospizbegleiterinnen. Allerdings weiß Vollmer: „Bei fast allen ist der Wunsch da, daheim zu bleiben, so lange es geht.“ Dies ermöglichen ambulante Pflegedienste und das Tübinger Projekt, ein Palliativdienst für die häusliche Betreuung Schwerkranker. Der Hospizdienst ist sowohl zu Hause als auch in den Pflegeheimen ausschließlich für die Begleitung da – und die kann ganz unterschiedlich gestaltet werden. „Manche Leute möchten noch ein Glas Wein trinken oder eine Zigarette rauchen“, weiß Brenzel. „Manche möchten, dass man ihnen vorliest. Manche Helferinnen singen den Lieblingschoral.“ Ohne Druck – niemand muss singen. Oft möchten die Sterbenden noch aus ihrem Leben erzählen, etwas besprechen. „Bis der tatsächliche Sterbeprozess eintritt, gibt es viele Vorstufen.“ Das allerwichtigste ist: einfach da sein.
Ausgerechnet ein Symbol des Lebens, ein Baum, ziert die Wand in der Geschäftsstelle. Blätter sprießen, umflattert von Schmetterlingen, die die Namen Verstorbener tragen. Auch wenn ein Sterbender und sein Begleiter sich erst im Krankenzimmer kennenlernten, kann eine enge Bindung entstehen. „Wenn wir Menschen auf die Welt kommen, sind wir in der Regel nicht allein“, sagt Brenzel. Sterbende hingegen verbringen viele einsame Stunden. „Gut sterben – leben bis zuletzt“ ist der programmatische Titel einer Podiumsdiskussion, mit der der Hospizdienst sein zehnjähriges Bestehen feiert.
Von Gabi Schweizer
07. Oktober 2017, Schwäbisches Tagblatt.